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ARCHERS
Freitag 11.04.2025
Allgemeine Athletik, Beweglichkeit und Koordination im Bogensport
Bogensport wird oft als „ruhige“ Sportart wahrgenommen, bei der es primär auf Konzentration und
Zielgenauigkeit ankommt. Doch dieser Eindruck greift zu kurz. Ein leistungsfähiger Bogenschütze
bringt nicht nur mentale Stärke, sondern auch ein hohes Maß an körperlicher Fitness mit –
insbesondere in den Bereichen allgemeine Athletik, Beweglichkeit und Koordination. Diese
Fähigkeiten bilden die Basis für eine saubere Schusstechnik, eine stabile Körperhaltung und eine
nachhaltige Leistungsentwicklung – sowohl im Breiten- als auch im Leistungssport.
1. Allgemeine Athletik im Bogensport
Definition und Bedeutung
Allgemeine Athletik umfasst Kraft, Ausdauer, Schnelligkeit und Beweglichkeit in einem breit
gefassten Sinne. Im Bogensport ist vor allem funktionelle Kraft in Rumpf, Schultern, Rücken und
Armen entscheidend – sowohl für die Stabilität im Schuss als auch für die Widerstandsfähigkeit
gegen Überlastungen.
Relevante athletische Komponenten:
Kraftausdauer: Besonders wichtig für längere Trainingseinheiten oder Turniere. Die Muskulatur muss
über längere Zeit stabil und effizient arbeiten können.
Maximalkraft (submaximal trainiert): Rumpfstabilität, Rückenmuskulatur und Schultern profitieren
enorm davon – gerade um das Zuggewicht effizient zu bewältigen.
Core-Stabilität: Der Rumpf ist das Zentrum der Kraftübertragung. Eine stabile Körpermitte hält den
Schützen ruhig im Stand.
Allgemeine Ausdauer: Wird oft unterschätzt, ist aber wichtig für Konzentrationsfähigkeit und
Regeneration über den Tag hinweg.
Trainingsansätze:
Funktionelles Krafttraining (Körpergewicht, freie Gewichte, Therabänder)
Zirkeltraining mit Fokus auf Rumpf, Beine, Schultern
Ergänzendes Ausdauertraining (z. B. Laufen, Radfahren, Schwimmen)
2. Beweglichkeit im Bogensport
Definition und Bedeutung
Beweglichkeit ist die Fähigkeit, Bewegungen mit großer Amplitude in einem oder mehreren Gelenken
auszuführen. Im Bogensport spielt sie eine entscheidende Rolle für die saubere Ausführung der
Schusstechnik und zur Vermeidung von muskulären Dysbalancen oder Verletzungen.
Wichtige Bereiche:
Schultergelenk: Muss flexibel, aber auch stabil sein – ideal für kontrolliertes Anheben und
Zurückführen des Bogenarms.
Brustwirbelsäule und Lendenwirbelsäule: Mobilität hier unterstützt die Rotation und Aufrichtung der
Körperhaltung.
Hüfte und Beinachsen: Besonders wichtig für eine stabile und gerade Standposition.
Trainingsansätze:
Dynamisches Dehnen vor dem Training (z. B. Armkreisen, Beinpendeln)
Statisches Dehnen nach dem Training (z. B. Schulterdehnung, Brustmuskulatur)
Faszienarbeit mit Rolle oder Ball zur Lösung von Verspannungen
Yoga oder Mobility-Flows als regelmäßiges Zusatzprogramm
3. Koordination im Bogensport
Definition und Bedeutung
Koordination beschreibt das Zusammenspiel von Sinnesorganen, Nervensystem und Muskulatur zur
zielgerichteten Bewegungsausführung. Im Bogensport ist diese Fähigkeit entscheidend für das
Erlernen und Abrufen einer technisch präzisen Schussabfolge.
Koordinative Anforderungen:
Feinmotorik: Besonders beim Lösen der Sehne, bei der Finger- und Handkontrolle.
Gleichgewichtsfähigkeit: Eine ruhige, gleichgewichtige Körperhaltung ist Grundvoraussetzung.
Rhythmisierungsfähigkeit: Die Schussbewegung folgt einem inneren Timing, das durch Training
automatisiert wird.
Reaktionsfähigkeit: Vor allem beim 3D- oder Feldbogen wichtig – schnelle Anpassung an
unterschiedliche Situationen.
Trainingsansätze:
Übungen mit instabilen Unterlagen (z. B. Balance-Pad, Slackline)
Koordinationstraining mit Ball oder Auge-Hand-Koordination (z. B. Jonglieren, Reaction Lights)
Techniktraining mit bewusster Variation der Bewegungsausführung (Differenzielles Lernen)
Mentaltraining in Verbindung mit Bewegung (z. B. Visualisierung gekoppelt mit Trockenübung)
Fazit
Die athletischen Grundlagen, die im Bogensport oft im Schatten der Technik stehen, sind essenziell
für eine gesunde und leistungsfähige Entwicklung der Schützen. Besonders in Nachwuchsarbeit und
im Breitensport sollte der Fokus nicht ausschließlich auf dem Schießen liegen – sondern auf einer
umfassenden Ausbildung der körperlichen Fähigkeiten.
Ein gezieltes Athletikprogramm, das Beweglichkeit und Koordination einschließt, bringt nicht nur
technische Vorteile, sondern beugt Überlastungen vor, verbessert die Haltung und steigert letztlich die
Freude am Sport.
Mittwoch, 30.04.2025
Drei Wege zum perfekten Schuss
Die Trainingsphilosophien von Kisik Lee, Kim Hyung-Tak
und Oliver Haidn im Vergleich
In der Welt des olympischen Bogenschießens gibt es viele Wege, die nach Rom –
oder besser gesagt: ins Gold – führen. Drei Trainer haben in den letzten
Jahrzehnten den Sport maßgeblich geprägt: Kisik Lee, Kim Hyung-Tak und Oliver
Haidn. Jeder von ihnen hat seine eigene Philosophie, sein eigenes System und
seine eigenen Prioritäten. Doch was genau unterscheidet diese Ansätze? Und was
können wir – ob Freizeit- oder Spitzenschütze – davon lernen?
Technik im Fokus: Drei Handschriften, drei Stile
Kisik Lee, Nationaltrainer der USA, hat mit dem National Training System (NTS)
einen 12-schrittigen "Shot Cycle" entwickelt. Jeder Teil der Bewegung ist präzise
definiert: vom Stand ber das Anheben des Bogens bis hin zum Lösen und
Nachhalten. Ziel ist maximale Wiederholgenauigkeit bei minimaler muskulärer
Belastung.Kim Hyung-Tak, der Altmeister aus Südkorea, verfolgt einen
traditionelleren Ansatz. Seine Methode fußt auf jahrzehntelanger Erfahrung und
fokussiert sich auf wenige, aber zentrale Schlüsselelemente. Der Ablauf ist weniger
formal als bei Lee, dafür stark durchgefühlt und intuitiv vermittelt.Oliver Haidn,
Bundestrainer in Deutschland, kombiniert internationale Best Practice mit
sportwissenschaftlichem Know-how. Seine Technikvermittlung basiert auf
klassischen Phasen, ist jedoch individuell anpassbar.
Training: Von Drill bis Datenanalyse
Im Training unterscheiden sich die drei deutlich:- Kisik Lee verfolgt ein
systematisches Techniktraining. Fehler werden in der jeweiligen Phase des Shot
Cycle identifiziert und isoliert behoben.- Kim Hyung-Tak setzt auf hohe
Schusszahlen und unmittelbare Korrektur durch den Trainer.- Oliver Haidn
strukturiert das Training periodisiert, Fehlerkorrektur erfolgt datenbasiert und ist oft
mit Kräftigungsbungen gekoppelt.
Philosophie: Einheit, Erfahrung, Individualisierung
Kisik Lee glaubt an eine einheitliche, wissenschaftlich fundierte Technik für alle.Kim
Hyung-Tak steht für die koreanische Tradition: Training mit Fleiß, Respekt und
Disziplin.Oliver Haidn hingegen vertritt eine moderne, sportwissenschaftlich
orientierte Philosophie, die Struktur und Individualität verbindet.
Für wen ist welcher Ansatz geeignet?
Lee’s System ist ideal für leistungsorientierte Schützen und strukturierte
Trainer.Kims Methode eignet sich für disziplinierte Athleten mit hoher
Trainingszeit.Haidns Ansatz ist skalierbar und funktioniert sowohl im Spitzensport
als auch im ambitionierten Breitensport.
Fazit
Ob Shot Cycle, koreanische Grundschule oder sportwissenschaftlich fundiertes
Trainingssystem – alle drei Methoden haben ihre Berechtigung. Wer sich
weiterentwickeln will, sollte die Ansätze kennen, vergleichen und daraus ein
eigenes Konzept entwickeln.
Hinweis
Dieser Artikel basiert auf Analysen offizieller Quellen (Bücher, Interviews,
Seminare), sowie eigenen Erfahrungen im Bogensport. Weitere Informationen zu
den einzelnen Trainern finden sich u.a. in "Total Archery" (Lee), "The Simple Art of
Winning" (Kim), sowie in den Lehrunterlagen des DSB (Haidn).
Rupert Graf, 2025